Patienteninformierung als ein Parameter zur Effizienzsteigerung im Gesundheitswesen

Vortrag und Artikel anläßlich der GMDS-Tagung in Ulm

Hägele M., Sljivljak N.

Einleitung

Krisen erschüttern gegenwärtig die Gesundheitssysteme der entwickelten Industriestaaten. Die Gesundheitspolitik agiert hilflos mit unterschiedlichen Konzepten und Methoden zu Kostenreduzierung. Bei mehr als 400 Milliarden Mark Gesundheitskosten pro Jahr allein in Deutschland ist Skepsis an der Notwendigkeit dieser Ausgaben angebracht [10, 7]. Ellis E. Huber, Präsident der Ärztekammer Berlin dazu: "Mehr Staat als Rezept erweist sich gleichermaßen als untauglich, die Gesundheitsprobleme zu lösen, wie mehr Markt" deshalb fordert er "Das Gesundheitssystem neu denken!" (vgl. Huber [7], S.8). Wachsende Anforderungen an die Leistungsfähigkeit und Effizienz unseres Gesundheitssystems, die Verschiebung der Diagnosen zu den chronischen Krankheiten und auch die Durchsetzung der informellen Selbstbestimmung der Patienten verlangen ebenso nach einem Umdenkungsprozeß im Gesundheitswesen.

Problematik und Motivation

Solange Patienten und Ärzte dazu neigen, jede Abweichung von einem als ideal erachteten Zustand zu einer "Krankheit" zu stilisieren, gibt es tatsächlich einen unendlichen, aber letztlich nicht finanzierbaren Behandlungsbedarf. Den wichtigen Aspekt des bedingten Gesund-Seins im Chronisch-krank-Sein verdeutlicht der Greifswalder Internist Gerhardt Katsch im Jahre 1937 in seinem Werk "Garzer Thesen zur Ernährungsführung der Zuckerkranken", indem er sagt, daß sich die Diabetiker nicht als "unheilbare Stoffwechselkrüppel abstempeln sollen", sondern sie sollen begreifen, daß sie "bedingt gesund" sind. Diese These ist zu verallgemeinern auf alle chronisch Kranke, da sich viele Menschen, trotz deutlicher Krankheitszeichen nicht so fühlen und sich nicht unbedingt als krank bezeichnen [6, 8, 9]. Außerdem geht es bei den chronisch Kranken nicht mehr primär darum Krankheiten zu heilen, sondern den Patienten beizubringen, damit leben zu lernen und das Optimale daraus zu machen. Dieser Schulungsprozeß basiert auf komplexen Informationszusammenhängen, die verdeutlicht werden müssen.

Angesichts der weiter zunehmenden Bedeutung der Versorgung chronisch Kranker und behinderter, alter Menschen ist damit zu rechnen, daß dieser Tatsache bei der Erstellung neuer Lösungskonzepte mehr Bedeutung beigemessen werden muß. "Das zunehmende Interesse der Bevölkerung an gesundheitlichen Fragen, eine gewachsene Verantwortung und selbständige Aktivitäten werden in Zukunft vermehrt Modelle eine Partizipation der Bürger an der Gesundheitspraxis erforderlich machen" (vgl. Faltermaier [4], S. 5). Dabei ist verstärkt auch auf die Bedürfnisse der Patienten einzugehen. So beklagen laut der Patientenbefragungsstelle COCO in Zürich 61% der Patienten, daß sie sich vom Arzt nicht ernst genommen fühlen. 36% der Patienten fühlen sich rechtlos, 35% ausgeliefert. 29% klagen über Verweigerung von Informationen.

Die Kostenexplosion im Gesundheitswesen ist in erster Linie als Leistungsexplosion zu bezeichnen [1, 11]. Deshalb wird es immer wichtiger auch bei den Patienten ein Bewußtsein zu schaffen, welche Untersuchungen und Leistungen sinnvoll und notwendig sind. Dieses Bewußtsein kann nur durch Informierung geschaffen werden.

Ansatzpunkte für Effizienzsteigerungen im Gesundheitswesen

Die Basis aller Handlungen und Entscheidungen ist Information. An vielen Punkten im Gesundheitswesen ist dieses Informationsdefizit mit Hilfe von geeigneten Mitteln reduziert und optimiert worden. Ein wichtiger Aspekt ist dabei allerdings nur unzureichend berücksichtigt worden: Die Rolle des Patienten im Gesundheitswesen. Ohne ihn kommt das Gesundheitswesen nicht aus, alle Handlungen und Entscheidungen basieren auf Äußerungen und Informationen, die er gibt oder die an ihm erhoben werden.




Abb. 1: Patienteninformierung als Basis für die stufenweise Einführung von Methoden und Mitteln auf dem Weg zum patientenorientierten Gesundheitswesen.

Durch eine intensive, computergestützte Patienteninformierung können Problematiken wie Zeitmangel seitens des medizinischen Personals, Streßsituationen, Nichteingehen auf individuelle Wissensstände und mangelnde Präsentationsqualität umgangen werden. Durch die multimediale Aufbereitung wird es dem Patienten möglich, schnell notwendige Grundlagen zu erarbeiten. Dadurch ist eine Einbeziehung des Patienten in den Entscheidungs- und Genesungsprozeß möglich. Der Patient wird hiermit in die Lage versetzt mitreden und mitentscheiden zu können.

Durch das Verstehen und Diskutieren von Diagnostik und Therapie, kann eine entscheidende Complianceverbesserung erzielt werden. Denn die Diskrepanz zwischen Arzneiverordnung und Medikamenteneinnahme beruht nicht nur auf den Fehlern von Patienten [13, 14]. Oft werden die ärztlichen Ratschläge deshalb nicht befolgt, weil der Patient sich in der Eile der Ordination und wegen des dabei benutzten, für die meisten Patienten fremden medizinischen Vokabulars die Anweisungen nicht verstehen.

Ein anderer wichtiger Punkt, der auch bei der Compliance immer wieder auftaucht, ist das Fehlen oder falsch deuten und verstehen von Informationen und die mangelnde Tiefeninformation zur Medikamenteneinnahme. Da der Arzt, diese zeitintensive Aufgabe der Vermittlung von Grundlageninformation kaum übernehmen kann, könnte ein Informierungssystem speziell für Patienten hier entscheidend weiter helfen.

Durch die aktive Teilnahme des Patienten am Geschehen, das wiederum nur durch intensive Informierung möglich wird, können medizinische Fehler und andere kritische Situationen vermieden werden [14].

Studien von Brody und Mitarbeitern haben gezeigt, daß aufgeklärte Patienten viel aktiver am Behandlungsprozeß teilnehmen und dadurch auch schneller wieder gesund werden [2]. Außerdem zeigten sich diese Patienten weniger unzufrieden mit Ihrem Zustand und erzielten eine schnellere Linderung der Symptome [5]. Auch andere Studien bestätigten dies [3, 12].


Durch eine intensive Schulung kann der Patient im Umgang mit seiner Krankheit geschult werden. Dadurch kann man eine Verbesserung der Lebensqualität des Patienten erzielen, teuren Spätschäden vorbeugen und Routinearbeiten auf den Patienten verlagern. Auch die Führung einer eigenen Dokumentation kann die Sichtweise des Arztes entscheidend erweitern. Diese Aufgabenverlagerung kann aber nur sinnvoll von gut informierten und geschulten Patienten, denen auch entsprechende unterstützende Mittel zur Verfügung gestellt werden, geleistet werden.

Viele Probleme, Mißverständnisse und dadurch auch Kosten entstehen durch mangelnde oder fehlerhafte Kommunikation. Parameter und Daten, die beim Patienten nicht durch objektive Meßmethoden und Geräte erhoben werden, wie z.B. die Anamnese, das aktuelle subjektive Befinden, Schmerzlokalisation, der psychische Zustand und viele Daten mehr können nur in Zusammenarbeit mit dem Patienten und nur über kommunikative Prozesse erhoben werden. Um die Kommunikation in diesem Patienten-Arzt-Gespräch zu verbessern reicht es nicht, wie es im bisherigen Gesundheitssystem der Fall ist, den Arzt zu schulen. Selbst wenn der Arzt die effektivsten Kommunikationstechniken beherrscht steht ihm nur eine sehr begrenzte Zeit zur Verfügung und ohne die effektive Mitarbeit des Patienten bleibt es nur Stückwerk.

Deshalb müssen neue Kommunikationswege gesucht und aufgebaut werden. Es muß ein reger und vor allem beidseitiger Kommunikationsfluß erfolgen. Dazu müssen auch direktere Wege als das Patienten-Arzt-Gespräch gefunden werden. Bei der effektiven Kommunikation kommt es auf die Gleichberechtigung der Partner an, auf eine gemeinsame Kommunikationsebene, einen effektiven Kommunikationskanal und auf wenige Störfaktoren auf den Kommunikationskanal. Um Daten aus der Kommunikation zu gewinnen ist eine strukturierte, übersichtliche Dokumentation der relevanten Daten notwendig.

Die Kommunikationsschnittstelle betrifft aber nicht nur Patienten und Ärzte, sondern es müssen auch Schnittstellen zu anderen Gesundheits-"Professionals", zu verschiedenen Institutionen, Organisationen und Selbsthilfegruppen geschaffen werden.

Durch die Diversifikation des Gesundheitswesens wird es für den Patienten immer schwieriger sich darin zurecht zu finden. Eine weit verbreitete Meinung ist, daß diese Probleme innerhalb des Gesundheitswesens zu lösen sind. Allerdings fallen diese Probleme oft schon sehr viel früher an, nämlich bevor der Patient das Gesundheitswesen betritt. Der Patient hat Orientierungsprobleme

  1. Breite Angebotspalette: Inzwischen gibt es so viele Heilverfahren, -philosophien und -mittel, daß der Patient schon damit überfordert ist eine selektive Auswahl der Möglichkeiten zu treffen aus einem Pool von Tausenden, die für ihn in Frage kommen.

2) Keine Kriterien zur Angebotsauswahl: Der Patient hat bis jetzt keinerlei Anhaltspunkte, wie er eine Auswahl treffen, geschweige denn wie er eine gute Wahl treffen soll. Es hängt momentan schlicht und einfach von der Ausdauer - nämlich wie viele er ausprobiert - und des Glücks des Patienten ab, ob er gute Hilfe findet. Das ist in einem modernen Gesundheitssystem nicht haltbar!

Gerade ältere oder vielbeschäftige Patienten haben Termin-/Zeitmanagementprobleme. Termine werden vergessen oder nicht eingehalten wegen Terminkollisionen. Dies betrifft allerdings nicht unbedingt nur das Gesundheitswesen. Außerdem ist es utopisch zu glauben, daß ein Termin-/Zeitmanagementsystem für das Gesundheitsmanagement allein zu realisieren wäre. Ein solches System macht nur Sinn, wenn man es für alle Termine verwendet und das Thema nur eine Rubrik innerhalb dieses Gesamtsystems darstellt.




Abb. 2: Autorenwerkzeug PatInf mit "Changer"-Werkzeug

Die aufgeführten Punkte machen deutlich, daß die Integration des Patienten ein enormes Potential zur Effizienzsteigerung im Gesundheitswesen darstellt. Dazu ist allerdings auch die Bereitstellung von entsprechenden Methoden und Mitteln notwendig. Diese können unter der Bezeichnung CAPS (Computer Aided Patient Support) zusammengefaßt und charakterisiert werden.




Abb. 3: Beispiel-WWW-Seite aus dem Patienten-Informierungssystem im Interent:
http://www.rzuser.uni-heidelberg.de/˜mhaegele/ipis/index.htm

Die Patienteninformierung nimmt hier neben der Kommunikations- und Dokumentationsunterstützung die wichtigste Rolle ein. Deshalb wurde als erstes ein Autorenwerkzeug entwickelt, das datenbankgestützt und objektorientiert arbeitet. Das Autorenwerkzeug dient zur schnellen, effizienten und updatefähigen Entwicklung von Patienteninformierungssystemen auf verschiedenen Medien wie CD-ROM, touchscreengesteuerten Infosäulen (P.O.I - Point of Information) und Online-Präsenzen (z.B. im Internet). Auch Mischformen sind damit möglich. Es stellt damit die erste Realisierung eines Systems aus dem CAPS-Konzept dar. Die Online-Präsenz im Internet zur Patienteninformierung findet schon regen Zuspruch.

(Die Literaturstellen können bei den Autoren angefordert werden).